Hallucigenia | Maia Damianovic | |||||||
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Begriffe: | Offenbar kann niemand von sich behaupten, die Bedeutung ein für allemal festzuschreiben, nicht einmal die Wissenschaft. |
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Hallucigenia | |||||||
1.3 Topos | |||||||
Hallucigenia ruft eine Art Rashomon-Effekt hervor: Die Rekonstruktionen unterwandern und erschweren mit ihrer geheimnisvollen Magie jede formale Wahrheitsfindung. Interpret-ationen entstehen kaum aus einer unpassenden oder unangemessenen Verbindung von Vorstellungen, sondern entspringen vielmehr einer tieferen Unordnung in ihrer Vielfalt paralleler Möglichkeiten, durch die es unmöglich wird, eine einzelne Identität auszumachen. Ironischerweise sind diese Unsicherheiten außergewöhnlich produktiv: Sie verleihen Hallucigenia eine offene und aktive Gestalt anstelle einer statischen, mit der repressive wissenschaftliche oder andere Patentlösungen verbunden wären. Ihre teleologische Unst-immigkeit ist gleichbedeutend mit einer poetischen Verschiebung des Selbst – dies legt nahe, dass es in unserer driftenden Realität vielleicht keinen ›Ort‹ mehr gibt, sondern nur unvermeidliche Verwandlungen und Veränderlichkeiten: ein fl üssiges, treibendes Terrain. Hallucigenia steht für die Sehnsucht nach Verortung, aber ihre Metamorphosen schließen zugleich jede Möglichkeit aus, eine ›Terra firma‹ zu finden. |
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1.4 Unwahrscheinlichkeiten | |||||||
Anders als der Stein von Rosette oder irgendeine romantische Vorstellung aus dem 19. Jahrhundert von großen, neuen Entdeckungen, bietet Hallucigenia keine Lösung an und wird dadurch noch anziehender. Gefangen zwischen der tatsächlichen wissenschaftlichen Beweisführung und einer Projektion der Fantasie, stellen die verschiedenen Erscheinungs-formen des Fossils Individualität über Uniformität und Relativismus über Determinismus. Wissenschaftlich-empirischer Pragmatismus zersplittert in teils zufällige, teils beiläufige Heterogenität. Ihre klare, peripatetische Haltung erschüttert unbeholfen die Überlegenheit des wissenschaftlichen Beweises und etabliert gleichzeitig den Zweifel. Wie versteinerte Überreste vom Mars auf der Erde sind jedoch ihre flüchtigen Unsicherheiten auch ein faszinierendes Reservoir der Fantasie.(Fortsetzung nächste Seite) |
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AutorInnen: | |||||||
Maia Damianovic | |||||||
Weitere AutorInnen: | |||||||
Stephen J. Gould | |||||||
Simon Conway Morris |