Martin Walde. | ||||||||
DINGE — TAUSCHEN | Friederike Fast | ||||||||
Begriffe: | Täglich umgeben sich Menschen mit immer neuen Gegenständen und treffen dazu zahl-reiche kleine Konsumentscheidungen. Nun mögen diese Produkte den Alltag oftmals nur beiläufig kreuzen, die Beziehung zwischen Dingen und Personen insgesamt aber ist höchst komplex und unterliegt historischen Entwicklungen. Während bis ins 18. Jahr-hundert hinein das Angebot von Konsumgütern recht eingeschränkt war und der Gebrauch von Gegenständen im Wesentlichen durch den gesellschaftlichen Stand oder familiäre Traditionen geregelt wurde, so hat in der Moderne eine erhebliche Ausdifferenzierung und Psychologisierung des Konsums stattgefunden. Im Zuge der Industrialisierung und durch die fortschreitende Arbeitsteilung entstand ein veränderter Lebenswandel, den Kritiker wiederholt als Entfremdungsprozess zwischen den Menschen und den Produkten der Arbeit diagnostizierten. Nicht zuletzt als Konsequenz dieser »Dingkritik« begreifen wir heute die Gegenstände, die uns umgeben, keinesfalls mehr nur als bloßen Ausdruck von Not-wendigkeiten oder Gewohnheiten der Konsumenten und auch nicht als die stumpfe Kon-sequenz wirksamer Werbebotschaften, sondern wir sind geneigt, ihnen mehr Bedeutung zuzuschreiben. (1) |
|||||||
The Tea-Set | ||||||||
Seidenpapiermadonna | ||||||||
Haarbälle | ||||||||
Ball-Turn-Bag | ||||||||
Production Limits | ||||||||
PINO-INO | ||||||||
Gegenstände spielen in der Arbeit von Martin Walde eine wichtige Rolle. Im Zentrum der Installation The Tea-Set von Martin Walde steht ein historisches Tee-Service mit floralem Dekor. Das Erbstück, das lange Zeit auf dem heimischen Dachboden gelagert wurde, und um dessen Herkunft sich eine mysteriöse Familiengeschichte spinnt, ist zentral auf einem großen Tisch mit weißer Tischdecke platziert. In Briefform fordert der Künstler den Besucher in unterschiedlichen Sprachen auf, via Email einen adäquaten Gegenstand zum Tausch mit dem Tee-Service anzubieten. Über die angemessene Qualität eines potentiellen Tauschobjekts, lässt der Künstler den Betrachter jedoch im Dunkeln: Welcher Gegenstand könnte einem Tee-Service entsprechen, dessen reiner Geldwert von einem Antiquitätenhändler zwar leicht einzuschätzen wäre, das jedoch als Erbstück darüber hinaus einen schwer schätzbaren, symbolischen Wert besitzt und das zugleich durch eine Familiengeschichte mit Ähnlichkeiten zu den modernen Sagen (Urban Myths) einen fast mythischen Charakter erlangt? Entgegen aller Familientraditionen möchte der Künstler es offenbar dringend loswerden – vielleicht gerade wegen dieser dunklen Erinnerung, die durch die geheimnisvolle blaue Beleuchtung des Raums noch unterstrichen wird: »Viel-leicht möchtest Du etwas loswerden, etwas mit einer entsprechenden, unangenehmen Geschichte. Das ist die Bedingung, die einzige Möglichkeit das Teaservice loszuwerden.« | ||||||||
AutorInnen: | (1)Vgl. dazu: Wolfgang Ullrich: Haben wollen. Wie funktioniert die Konsumkultur?, Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2006, S. 21 ff. | |||||||
Friederike Fast | (Fortsetzung nächste Seite) |