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    Moleküle und Modelle | Rainer Metzger    
         
  Fortsetzung von Seite 1    
         
Begriffe:  

Wiederum ist entwichen, was vordem gebändigt war. Anders allerdings als die Luft, die den Blasen entkam, lassen sich die chemischen Kugeln wieder einfangen, und dafür hat Martin Walde Plastikbecher bereitgestellt, die einem Becherspender entnommen werden können, der gleichzeitig ein Trinkwasserreservoir ist. Waterpoint heisst die Firma, die das Nass in Frischhaltequalität und damit auch die Becher bereitstellt, und so heisst entsprechend, wir leben im Zeitalter des Product Placement, Waldes Werk. In Wien, wo es vor der Präsentation im Kunsthaus Baselland aufgestellt war, hatte es Blue Dolphin geheissen. Doch Namen sind Schall und Rauch, und Arbeiten von derart entropischer Anmutung wie Waldes Wand können nicht anders als damit zu spielen.

 
Waterpoint    
Blue Dolphin    
Frogs    
Concoctions    
     
     
     
     
    Nehmen Sie eine Sandkiste und füllen Sie zweierlei Sand hinein, eine Hälfte mit hellem, die andere mit dunklem. Dann nehmen Sie ein Kind und lassen es in der Kiste im Kreis gehen, wieder und immer wieder, und im Lauf der Zeit werden sich die beiden, ursprünglich so leicht zu unterscheidenden Materialien zu einem diffusen Grau vermischen.
Nun bitten Sie das Kind, rückwärts zu gehen, doch anders als bei einem Film, den man umgekehrt abspult, wird sich kein Ausgangszustand wiederherstellen lassen. Im Gegenteil: Ob vorwärts oder in Gegenrichtung – die beiden Sandflächen werden sich weiter vermengen, hinein in die völlige Ununterscheidbarkeit. Robert Smithson, der Land Art Veteran, hat sich dieser Geschichte gern bedient, um vom Wirken der Entropie zu erzählen. Menschliche Tätigkeit bringt die Welt nur durcheinander, ihr Gesetz ist die Unordnung. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik läßt es unausweichlich erscheinen: Was geordnet war, gerät aus den Fugen, was differenziert war, vermischt sich. Menschliche Arbeit ist
Reduktion von Komplexität. Und jede Reduktion von Komplexität fügt der Welt neue Komplexität hinzu. Komplexität ist nur ein anderes Wort für Saustall. Nichts zu machen.
 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
       
       
       
    Waldes Styropor ist ein Material perfekt Smithson'schen Angedenkens. Wie der Teer, den Smithson einst einen Abhang hinabrollen ließ, verdankt sich das Styropor einer Mischung von Sustanzen, die sich zu einem synthetischen Etwas mengen, das vor allem eines gekostet hat: viel Energie. An dieser Mischung wird nun gezupft und gezerrt, als könnte man sie ungeschehen machen, und am Ende, ob im Becher oder im Raum verteilt, ist der Eindruck der eine: Wie sieht es denn hier aus? Entropisch eben.    
       
       
       
       
       
    Was bei Waterpoint vor Augen steht und auf Brauchbarkeit hin taxiert werden kann, ist ein spezieller Aggregatszustand, fest zwar, aber nicht zu kompakt, eine Angelegenheit, die viel Luft enthält, aber auch etwas von Flüssigkeit hat, denn man kann es in Becher füllen.    
       
AutorInnen:      
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